Es regnet in Strömen, zum Teil gewittrig, der Wind heult und drückt uns seitwärts. Der Schwimmsteg schaukelt mächtig, und wir schaukeln mit.
Seit nunmehr einer Woche liegen wir hier am Ponton der Lega Navale im Porto Vecchio von Crotone. Bis gestern war der Steg immer gut gefüllt, doch heute sind wir bis auf einen Dauerlieger das einzige Boot – alle anderen Gastlieger haben sich gegenüber in den Schutz der hohen Kaimauer im neuen Hafen verholt.
Diese Freiheit haben wir leider nicht, denn mangels Motorunterstützung können wir uns derzeit nicht vom Fleck bewegen. So hoffen wir, dass die Mooringleinen halten, drei Stück hat man uns gegeben, der Nordwind trifft uns genau von der Seite, Böen bis 39 kn sind für heute und morgen vorhergesagt, wie immer unterscheiden sich die Vorhersagen leider recht erheblich.
Die Überfahrt ….
Die Überfahrt von Griechenland hat unsere Nerven auf eine harte Probe gestellt. Vielleicht sind wir ein bisschen früh dran, als wir gegen 07:30 Uhr in Erikoussa den Anker aufholen und uns auf den Weg gen Italien machen. Ziel: Le Castella in Calabria. In jedem Fall war auch die Vorhersage hier nicht ganz korrekt und der erwartete Wind setzt erst deutlich später ein. So läuft der Motor viel auf der ersten Hälfte der Strecke.
Bei wenig Wind setzen wir schließlich die Segel. Mit 3,5-5 Knoten Fahrt kommen wir zunächst ganz gut voran, dann lässt der Wind wieder ziemlich nach. Wir holen das Vorsegel ein und fahren erneut unter Maschine weiter.
Gut 50 Meilen nach unserem Aufbruch fängt am Nachmittag der Motor an zu röhren und aus dem Auspuff kommt kein Wasser mehr. Wir stoppen die Maschine sofort. Bei sehr wenig Wind aktivieren wir die Segel und warten, bis sich der Motorraum ein wenig abgekühlt hat. Dann checkt Burkhard als erstes den Seewasserfilter, der ist trocken (Alarm!), saugt aber keine Luft an, so wie im vergangenen Jahr. Als nächstes wollen wir den Impeller überprüfen.
Inzwischen haben wir im Hafenhandbuch nochmals verifiziert: für eine mögliche Reparatur ist Crotone das bessere Ziel als Le Castella. Also ändern wir den Kurs, aber auch für das neue Ziel müssten wir weiter abfallen, was bei der Windsituation derzeit nicht möglich ist. Der Wind kommt ziemlich von achtern, wir haben das Großsegel in den Bullenstander gebunden, damit es nicht umschlägt. Stundenlang dümpeln wir bei 1,5–2 Knoten Fahrt, während Burkhard im Motorraum versucht, das Impellergehäuse zu öffnen. Nach einer Halse können wir endlich direkten Kurs auf Crotone nehmen. Erfreulicherweise hat der Wind ein wenig aufgefrischt, so dass wir nun Hoffnung hegen können, auch ohne Motor bis herüber an die andere Küste zu kommen.
Die Öffnung des Impellergehäuses wird zum Problem, da eine Schraube sich nicht herausdrehen lässt und mittlerweile auch ziemlich kaputt ist. Mit dem Dremel schließlich hofft Sibylle die Kerbung der Schraube wiederherstellen zu können, auch das vergeblich.
Die Stunden vergehen und inzwischen ist es dunkel. Den schönen Sonnenuntergang haben wir nur mit Magengrummeln zur Kenntnis genommen. Irgendwann beschließen wir, die Arbeiten zunächst mal einzustellen und etwas Warmes in den Magen zu füllen, ein paar Kohlehydrate werden uns guttun, den ganzen Tag über haben wir nichts gegessen. Gegen 23:00 Uhr endlich mümmeln wir schweigend einen Teller Spaghetti al Sugo di Tonno.
Burkhard ist anschließend völlig kaputt und „schläft“ für ein paar Stunden im Cockpit, während Sibylle Radarbild, AIS- Daten und den Kurs beobachtet, alle 10-15 Minuten ein Rundumblick. Nicht leicht, in dieser Nacht etwas zu sehen, der halbe Mond kommt erst sehr spät durch die Wolken und ist dann auch bald schon wieder im Meer versunken.
Was wirklich sehr gut funktioniert, ist unsere Windfahnensteuerung, zumindest sobald wir ausreichend in Fahrt sind, hält sie vorbildlich den Kurs zum Wind und schont somit den elektronischen Autopiloten und unsere Energiereserven beträchtlich.
Sibylle wird langsam müde und Burkhard wieder wach. Dummerweise brist der Wind nun sehr auf, schließlich reffen wir nach einiger Zeit zunächst mal das Vorsegel, dann später im Morgengrauen auch das Groß, indem wir so hart wie möglich an den Wind fahren.
Am 20.06. um 07:30 Uhr verzeichnen wir ein Etmal von 114,8 nm.
Wir haben einen Plan für die kaputte Schraube: Sibylle wird mit dem Dremel den Schraubenkopf vorsichtig abfräsen. Das funktioniert, und nach einigen Versuchen ist der Impeller draußen. Leider sieht das Ding einwandfrei aus, das kann nach unserer Meinung nicht die Ursache gewesen sein. Dennoch bemühen wir uns, einen neuen Impeller einzusetzen, bis wir feststellen, dass uns die Zeit davonläuft. Der Wind weht uns nun kräftig von Nordwest auf die Küste zu, und wir haben noch keinen Plan, wie wir ohne Motor in den Hafen von Crotone kommen sollen.
Wir wälzen die Bücher zu den Abschleppregeln und Tipps. Die Aktivierung der Küstenwache könnte mehrere tausend Euro kosten, darauf haben wir wenig Lust. Ein Anruf bei Transocean schließlich bringt uns weiter. Luigi vom nächstgelegen Transocean-Stützpunkt in Süditalien stellt für uns einen Kontakt zu Maurizio von der Lega Navale in Crotone her. Sibylle ruft an und in gebrochenem Italienisch (Sibylle) und gebrochenem Englisch (Maurizio) wird vereinbart, dass wir uns wieder melden sollen, wenn wir die Gasplattformen, die vor der Küste von Crotone liegen, passiert haben. Man will uns dann von der Einfahrt zum Hafen mit dem Schlauchboot zum Liegeplatz bringen.
Wir wissen zwar nicht genau, wie das gehen soll, aber immerhin ein Hoffnungsschimmer. Der Wind bläst nach wie vor ordentlich mit mehr als 20 Knoten, aber die Richtung ist günstig für uns, auch um einen Aufschießer unter Vorsegel ins Hafenbecken zu wagen. Wir nähern uns mit 4-4,5 Knoten und machen uns bereit mit Leinen und Fendern. Als wir näherkommen, sehen wir schließlich das blaue Schlauchboot vor der Einfahrt, allerdings umringt von einer Optimisten-Segelschule, na prima. Die Optis werden jedoch offensichtlich zurückgepfiffen, als wir uns weiter nähern und der Aufschiesser ins Hafenbecken gegen den Wind gelingt prima. Burkhard holt schnell den Rest des gerefften Vorsegels ein und das Schlauchboot macht am Bug fest. Geschickt und vorsichtig zieht uns der Marinero zum Steg der Lega Navale.
Leider endet das Anlegemanöver nun ziemlich im Chaos, offensichtlich stimmt die Kommunikation nicht ganz mit den Helfern am Steg, und mit uns hat leider auch niemand gesprochen, damit wir verstehen könnten, was der Plan eigentlich ist. Wir werden von dem starken Wind längsseits an den Steg gedrückt und verfangen uns mit dem Kiel in der bereitgehaltenen Mooringleine.
Eine dicke Schramme an Backbord bei uns und eine durchgetrennte Mooringleine der Lega Navale später, liegen wir schließlich fest am Steg im Porto Vecchio von Crotone. Wir können es kaum glauben, nach dieser angespannten Fahrt mit Ungewissheit, Sorgen und auch Zweifeln an der Sinnhaftigkeit unserer Unternehmung, sind wir nun 28 Stunden später erst einmal sicher im Hafen. Haben wir die Müdigkeit bis hierhin nicht gespürt, so überfällt sie uns nun schlagartig. Doch zunächst bestellt Maurizio für uns den Mechaniker, der gegen 15:00 Uhr kommen will. Dann melden wir uns an im Büro der Lega Navale, die in einem monströsen weißen Gebäude direkt am Hafen residiert. Alles ist hier anders als in Griechenland, das spürt man sofort, angefangen damit, dass kaum einer der Italiener vernünftig englisch spricht. Nun denn, Sibylle muss halt ihr italienisch wieder rauskramen …
Nach dem verdienten Anlegerbier nicken wir sofort im Cockpit ein, ohne Wecker hätten wir den Mechaniker kaum kommen hören. Salvatore ist freundlich und macht einen kompetenten Eindruck. Schnell stellt er fest, dass offenbar die Antriebswelle der Seewasserpumpe nicht mehr greift, sich der Impeller also nicht mehr dreht und somit auch kein Wasser transportieren kann.
Energisch fordert Salvatore Burkhard zum Mitkommen auf und schleppt ihn in seine nahegelegene, sehr geordnete Werkstatt. Mit Hilfe einer Abstandshalterscheibe, soll der Pumpenantrieb wieder funktionieren. Über eine Stunde wird geklopft, gehämmert, probiert, bis schließlich alles passt. Tatsächlich gelingt es, die Seewasserkühlung für den Motor so wieder ans Laufen zu bringen, Salvatore empfiehlt jedoch, beim nächsten Motorservice die Teile auszutauschen. Wir würden das hier gern direkt vor Ort von ihm erledigen lassen, doch die lange Lieferzeit für die Ersatzteile schreckt uns zunächst ein wenig ab, schließlich sind wir ohnehin schon weit hinter unserer ursprünglichen Routenplanung zurück.
Dennoch entscheiden wir uns anderntags, die notwendigen Teile zu bestellen, Lieferung und Einbau hoffentlich heute, Dienstag, 26. Juni.
Der lange Aufenthalt in Crotone ist somit eher unfreiwillig, auch wenn es uns hier irgendwie ganz gut gefällt. Eine Kleinstadt mit krassen Gegensätzen. Da ist der „Lungomare“, Flaniermeile am Abend, die irgendwo in den 60ger Jahren verhaftet geblieben zu sein scheint. Mit heruntergekommenen Casinobauten und Umkleidehäuschen, Sonnenschirmen und Liegen dicht an dicht und jede Menge Imbissbuden vermittelt die Seafront eher ein Gefühl von – Verzeihung!!! – „Urlaub für Arme“. Doch Bucht und Strand sind wunderschön, glasklares Wasser, bis weit hinaus zu den Bojen, die den Badestrand begrenzen kann man aufrecht stehen. Und so waten hier die Italiener, Einheimische wie Urlaubsgäste, unermüdlich auf und ab und halten Konversation, solange die Sonne am Vormittag noch nicht so hochsteht, typischerweise füllt sich der Strand dann erst wieder am späten Nachmittag.
Crotone – als antike griechische Gründung und florierende Polis ein Teil der Magna Graecia im Altertum – hat etliche siegreiche Athleten bei den antiken Wettspielen hervorgebracht. Darauf ist man stolz und pflegt die Tradition: Segeln, Kanufahren, Windsurfen, Schwimmen, Laufen und vieles mehr ist im Angebot – insbesondere für Kinder wird hier viel getan, nirgendwo sonst haben wir bisher so viele „Optimisten“ täglich mit dem Segel trainieren sehen.
Crotone: Große Schautafeln neben dem Hafeneingang zeigen den Erfolg der Athleten aus Kroton bei den panhellenischen Spielen.
Oben in der Altstadt und dem eigentlichen Stadtzentrum von Crotone bietet sich ein komplett anderes Bild: die imposante Festung aus dem 16. Jahrhundert, alte Häuser, enge Gassen, il Duomo und der obligatorische Corso, Flaniermeile und Geschäftsstraße, vermitteln italienisches Flair und Charme.
Auch Leben lässt es sich hier sehr gut. Wir genießen die italienische Küche und das typische Lebensmittelangebot mit köstlichem Prosciutto, Salami, Mozzarella di Bufala …. Um den neuen Hafen gibt es jede Menge Fischgeschäfte mit reichhaltigem Angebot – insbesondere die Miesmuscheln entpuppen sich als Weltklasse. Dennoch hoffen wir sehr, dass wir am Donnerstag unsere Reise fortsetzen können, dann sollte auch der Wind wieder passen. Bis zum Redaktionsschluss dieses Beitrags gibt es von unseren Ersatzteilen allerdings noch keine Spur …. forze dopopranzo …