Ausgangssperre Tag 31 – und kein Ende in Sicht

Vorläufig bis zum 26. April wurde die rigorose Ausgangssperre in Spanien in der vergangenen Woche verlängert, verbunden mit der klaren Ansage des Ministerpräsidenten, dass er im Anschluss für weitere 15 Tage Verlängerung bis zum 10. Mai plädieren werde. Laut einer der spanischen Regierung vorliegenden Analyse einer bekannten Consulting-Firma muss an dem herrschenden Ausnahmezustand jedoch noch mindestens bis Juni festgehalten werden, im schlimmsten Fall soll es Juli werden …..

Diese Aussichten tragen weiß Gott nicht zu unserer Erheiterung bei. Seit 31 Tagen nunmehr sind wir ohne vernünftige Bewegung. Wir dürfen nicht spazieren gehen, nicht joggen oder walken oder Rad fahren, nicht zum Schwimmen an den Strand – abgesehen davon, dass das Wasser hierfür noch ein bisschen kalt ist. Auf der Straße oder am Steg vor dem Anlegeplatz einige Lockerungsübungen absolvieren kann nur, wer in der glücklichen Lage ist, die Streifen-Fahrzeuge der Sicherheitsbehörden so rechtzeitig zu erspähen, um ungesehen schnell wieder an Bord hüpfen zu können. In solcher komfortablen Situation sind wir leider nicht, sobald die Ordnungshüter um die Ecke biegen, haben sie uns voll im Blick. Nicht ohne Neid sehen wir immer wieder, wie ein paar unserer deutschen Leidensgenossen am Pier gegenüber sich vor ihren Booten die Beine vertreten und auch ein Schwätzchen auf Distanz halten.

​Und kontrolliert wird immer noch akribisch, sogar die Einkaufstasche und der Kassenbon muss zuweilen vorgezeigt werden, um den Aufenthalt auf der Straße zu legitimieren. Offenbar gibt es jede Menge listige Menschen, die ihre Einkaufstüten nur zum Schein spazieren tragen. Aus Mallorca hört man sogar von einem angeblich geforderten Mindesteinkaufswert, wohl um zu vermeiden, dass jemand mehrmals täglich den erlaubten Gang zur Nahrungsmittelbeschaffung für unnötige Bewegung im öffentlichen Raum schamlos ausnutzt.

Von solcher Trickserei sind wir allerdings auch jetzt noch, nach Wochen der schuldlosen Inhaftierung an Bord, weit entfernt. Obwohl der Bewegungsmangel mittlerweile unerträglich wird und die Stimmung auf engstem Raum zuweilen gereizt, vermeiden wir weiterhin jeden unnötigen Gang unter Menschen. Noch immer ist Spanien das Land mit den weltweit höchsten Infektionszahlen pro Einwohner, meldet die absolut meisten Infizierten in Europa und belegt auch bei den durch Covid-19 indizierten Sterbefällen einen traurigen dritten Platz hinter USA und Italien. Krank werden möchte und darf man hier in dieser Situation nicht. 

Mehr als 28.000 Menschen, die hier im Gesundheitsdienst tätig sind, sind inzwischen selbst infiziert oder unter Infektionsverdacht isoliert. Die Bilder und Berichte, mit denen man täglich in den spanischen Medien konfrontiert wird, sind zutiefst traurig und verstörend. So wurde das Ifema-Messegelände in Madrid zu einem riesigen Lazarett umgebaut, der sogenannte Eis-Palast ebendort wird in Ermangelung von adäquaten Lagerungsmöglichkeiten als temporäre Leichenhalle genutzt. Auf der Eisfläche, wo sonst Familien und Kinder Schlittschuh laufen, stehen nun die Särge der Verstorbenen, in Reihen geordnet, nach Alphabet.

Freudig begrüßt wird inzwischen jede kleine Reparatur an Bord, über die man vorher in jedem Fall gemeckert hat. So darf Burkhard in diesen Tagen mal wieder unseren defekten Heißwasserstab tauschen, der sich sehr zu unserem Leidwesen bisher in jedem Winter, den wir im Hafen und damit am Landstrom verbringen, mit Kurzschluss verabschiedet hat.

Seit Beginn des Ausnahmezustands ist uns auch das Wetter leider nicht wirklich wohlgesonnen, so dass wir ausstehende Arbeiten außen am Schiff bisher nicht durchführen konnten. Vorrangig die Arbeiten am Teakdeck sind noch überfällig, auch müssen wir dringend im Masttopp die Ankerlaterne tauschen, sowie die Decksbeleuchtung erneuern.

Also weiter die Zähne zusammenbeißen und ausharren. Allabendlich um 20:00 Uhr zusammen mit den Anwohnern applaudieren für die tapferen Helfer im Gesundheitsdienst und in allen anderen Berufen, die die existenzielle Versorgung aufrechterhalten. Wie 95% aller Spanier nur mit Maske vor die Tür gehen, mit Einweghandschuhen einkaufen. Am Supermarkt geduldig anstehen und Abstand halten. Der tägliche Gang zum circa 100 Meter entfernten Müllcontainer ist für Burkhard inzwischen das erklärte Highlight des Tages, auch wenn er tatsächlich unterwegs keiner Menschenseele begegnet.

Während in Deutschland unsere Freunde am Ostersonntag auf der Terrasse und im Garten grillen, schalten wir die Heizung mal wieder an, wobei es draußen schon wieder kräftig regnet. Immerhin – ein paar Schokoladeneier haben wir in einer Ecke im Supermarkt dann doch noch entdeckt, und etwas Eierfarbe sowie ein über die Jahre wohlgehüteter Rest Ostergras haben dann auch ein wenig heimisches Ostern in unseren Salon gezaubert.

Endlich geben die Statistiken der letzten Tage Anlass zur Hoffnung, dass sich das Blatt für Spanien allmählich zum Besseren wendet. Wir hoffen, dass mit der schrittweisen Rückkehr zur Normalität, über die zumindest mal gesprochen wird, die rigorosen Maßnahmen differenziert und angepasst werden. 

Auch die Spanier – bei aller Vernunft und Betroffenheit – beschweren sich inzwischen zunehmend über den – wie einige formulieren – „brutalsten Hausarrest der Welt“.

3 thoughts on “Ausgangssperre Tag 31 – und kein Ende in Sicht

  1. Horst Müller

    schafft euch einen Hund an… den könnt ihr dann zum Gassigehen gut gegen einen € /Gassigehen verleihen… mit zwei Hunden macht ihr gleich zwei€/ Verleih… liebe Grüße Horst

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  2. Tessa

    Liebe Sibylle, du schreibst so schön und klar! Trotz des schweren Inhalts und derzeitigen Situation an Board ist dein Text so schön zu lesen und vermittelt die allgemeine Situation in Spanien und eure individuelle Lage sehr eindrucksvoll. Vielen Dank, dass ihr uns an eurem Erleben teilhaben lasst. Ich drücke euch fest die Daumen den Ausnahmezustand weiterhin zu meistern! Alles Liebe von mir aus dem Frankenland 🙂 Tessa

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