Acht Tage bis Gran Canaria

Die nächsten Tage verlaufen ohne größere Zwischenfälle. Wir fühlen uns etwas einsam, aber nicht mehr hilflos. Täglich mehrfach holen wir den Streckenwetterbericht über SSB-Funk, das klappt hervorragend. Auch der E-Mail-Versand und -empfang via SailMail ist top, derzeit unser einziger – tröstlicher – Kontakt zur Welt außerhalb unseres Schiffes. Christoph gibt uns regelmäßig ein Update zur Großwetterlage, die leider für uns nicht rosig aussieht. Der Wind wird einschlafen, gegen uns drehen und erst nach mehreren Tagen wird endlich der erforderliche Nordwind einsetzen, der uns hoffentlich irgendwann ans Ziel weht.

Immer wieder haben wir kleine „blinde Passagiere“ an Bord. Eigentlich freuen wir uns über den Besuch der zutraulichen Tierchen, aber leider hinterlassen sie überall ihre Spuren …

Andere Schiffe sind hier kaum unterwegs. Die Yachten, mit denen wir zusammen am Freitag gestartet waren, sind längst aus unserem Empfangsbereich verschwunden und werden sicher weit vor uns das Ziel erreichen. Die Frachtschiffe, die uns auf der Strecke – zumeist im Abstand von mindestens zwanzig Meilen – passieren, kann man fast an einer Hand abzählen. Das ändert sich erst, als wir uns Gran Canaria nähern. So ist es auch kein Problem, dass wir nach wir vor die Navigationsgeräte nur sporadisch einschalten, und nachts leuchtet uns hell der Mond – jedenfalls, wenn sich keine Wolken davorschieben.

Wir erhalten nun Mails von vielen Seiten, alle sind sehr bemüht und hilfreich, auch ein Volvo-Ingenieur aus Gran Canaria schreibt uns Tipps zur Fehlerfindung bei überhitztem Motor, aber leider kennen wir ja die Ursache bereits. Als Sibylle eine Antwort senden möchte, lässt sich auf einmal die ICOM SSB-Anlage nicht mehr anschalten – jetzt wird uns wirklich mulmig. Verzweifelt suchen wir die Bedienungsanleitung, Burkhard findet tatsächlich am Gerät die Sicherung, die ist jedoch in Ordnung – woran liegt es denn dann? Ratlosigkeit. Da auf einmal funktioniert die Funke wieder, Gott sei Dank. 

Sofort bitten wir Christoph per Mail, uns bei der Aktivierung unseres Iridium Satelliten-Telefons zu helfen, damit wir wenigstens noch eine alternative Möglichkeit zur Kommunikation haben. Schon bald vermeldet Christoph Erfolg: das Iridium Go ist aktiviert. Sehr beruhigend, zusätzlich nun die Möglichkeit zum Telefonieren zu haben. Gleich am nächsten Tag testen wir das Gerät: der Anruf bei Christoph funktioniert tadellos, die Qualität der Verbindung könnte besser sein. Wir werden also vermutlich noch in eine externe Antenne investieren und auch die SMS- und Tracking-Funktion muss eingerichtet werden, sobald wir wieder Internetanschluss haben.

In der Nacht zum 23. Oktober verdichten sich die Schleierwolken der Südwindwetterlage zu undurchdringlichem Nebel und es ist plötzlich komplett windstill. Wir treiben mit genau 0,0 Knoten in der milchig-trüben Suppe, man hört nichts außer den wenigen Geräuschen an Bord: das Anspringen der Kühlschrank-Pumpe, das Surren der Frischwasserpumpe, ein Klappern der Pfanne bei der Zubereitung des nächtlichen Omelette. Echt gruselig! Fast erwarten wir, dass irgendwo eine Hand aus der wabernden Watte ragt und nach uns greift. Wer sagte da eigentlich: der Weg sei das Ziel? Dämlicher Spruch 😊 – irgendwann möchte man ja auch mal ankommen, zumal, wenn man wie Burkhard einen Flug von Gran Canaria nach Deutschland gebucht hat, der in wenigen Tagen abhebt. Dankenswerter Weise ist der Spuk nach ein paar Stunden vorbei und der erwartete Südwind bläst kräftig mit bis zu 17 Knoten – nicht ganz unsere Richtung, aber zumindest raus aus dem Nebel.

Am Morgen des 24. Oktober schließlich machen wir uns ernsthaft Hoffnungen, dass wir noch rechtzeitig zum Start des Fluges in Las Palmas eintreffen können. In der Nacht hat uns ein angenehmer Nordostwind ein gutes Stück vorangebracht. Wir rechnen, wenn wir in diesem Tempo weiter vorankommen, können wir bis zum Nachmittag die Rest-Strecke auf circa 300 Meilen verkürzen. Aber erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Ab mittags zieht sich der Himmel zu und der Wind lässt merklich nach, wir machen nur noch gut 3 Knoten, das ist viel zu langsam.

In einem Akt der Verzweiflung gibt sich Burkhard daran, die Seewasserpumpe auseinanderzubauen.

Leider kommt aus dem Auspuff immer noch kein Wasser und der Impellerdeckel scheint undicht – also Deckel wieder runter und Dichtung neu und einfetten. Dann ein erneuter Versuch, es wird schon bald dunkel. Tatsächlich wird nun wieder Seewasser durch das Kühlsystem transportiert – aber leider tropft es auch gewaltig im Motorraum: bei den Arbeiten ist wohl der Simmering kaputtgegangen und die Pumpe ist nun undicht. Wir sind tief enttäuscht, vor allem Burkhard, der sich den ganzen Tag abgemüht und einen phantastischen Job gemacht hat.

Wir wollen versuchen, die defekte Antriebs-Welle durch das alte Ersatzteil zu ersetzen, was wir im Juni in Crotone getauscht hatten und ebenso wie unser dortiger Mechaniker Salvatore (nomen est omen!) in seinem ersten erfolgreichen Reparaturversuch eine Distanzscheibe zusätzlich einsetzen. Auf diese Weise kann hoffentlich der ebenfalls defekte Mitnehmer wieder richtig greifen und so die Welle wieder drehen. Hierzu kontaktieren wir als erstes den Mechaniker in Crotone um zu verstehen, wo die Abstandscheibe zu platzieren ist und wie dick diese sein muss. Salvatore antwortet prompt: „Il distanziale lo deve inserire tra ultimo cuscinetto esterno (13) e albero (3)“. Na also! Wir sind begeistert und ziemlich zuversichtlich, dass dies die Lösung des Problems bringen wird. Am späten Nachmittag endlich ein erster Einbau-Versuch.

Ausnahmsweise teilen wir uns vier kleine Dosen Bier – danach geht es uns etwas besser. Dann essen wir lecker zu Abend und Burkhard legt sich aufs Ohr. Wieder übernimmt Sibylle eine sehr lange Wache.

25. Oktober: In der Nacht gibt es zunächst kaum Wind aus N-östlicher Richtung. Sibylle versucht durch manuelles Steuern, die Geschwindigkeit oberhalb der 3 Knoten zu halten, was auch meistens gelingt. Den Autopilot können wir nicht mehr einschalten, der verbraucht zu viel Strom, denn inzwischen haben wir ein massives Energieproblem, der Batterieladestand ist nur noch bei 45%, am Morgen dann runter auf 40%. Den Generator haben wir zwar inzwischen in Gang gebracht (es hat durchaus Vorteile, wenn man vor dem Anwerfen sicherstellt, dass sich ausreichend Kraftstoff im Tank befindet 😊). Jedoch schaltet sich der Generator sofort wegen Überlastung wieder ab – damit können wir die Batterien jedenfalls nicht wieder laden.

 

Ab 05:00 Uhr hocken wir dann gemeinsam im Cockpit. Der Wind hat aufgefrischt und ein paar Mal gedreht, jetzt fahren wir sehr hoch am Wind Kurs 240-250°, also westlich am Ziel vorbei, aber anders geht es im Moment nicht. Auf geradem Wege wären es gegen 10:00 Uhr noch 239 Seemeilen bis Las Palmas.

Immer noch denken wir, dass wir es rechtzeitig bis dorthin schaffen können. Gegen Mittag baut Burkhard die Seewasser-Pumpe wieder aus und bei ziemlicher Schräglage und Wellengang versuchen wir, uns gemeinsam dem Dichtungsproblem zu nähern. 

Bei genauerem Hinsehen scheint tatsächlich die eine der beiden Dichtungen an der Welle nicht mehr in Ordnung, sie steht etwas hervor und die Lippe ist ausgefranst. Die andere Dichtung sieht ok aus – was für ein Glück, denn unter unseren Altbeständen findet sich nur noch eine einzige halbwegs intakte Dichtung. Wir demontieren das defekte Teil und schieben die neue Dichtung auf, und zwar nachdem die Welle bereits wiedereingesetzt ist, so wie es in unserem inzwischen vielgenutzten Standardwerk beschrieben ist (Nick Calder, Boatsowner`s Mechanical and Electrical Manual – sehr zu empfehlen und unverzichtbar!).

Es ist kalt und wolkenverhangen, jetzt ein bisschen hinlegen und dösen, das wäre schön. Aber wir müssen erstmal reffen, denn der Wind geht in Böen wieder bis 18 Knoten hoch. Während wir Tuch reinrollen, scheppert die Coladose an der Schleppangel, die erst seit gestern wieder draußen hängt. Vorher war wirklich niemandem zum Fischen zumute, außerdem mit der drohenden Gefahr, den Bord-Kühlschrank wegen Energiemangel abschalten zu müssen, ist es ja eigentlich die reine Verschwendung, noch weitere Lebensmittel an Bord zu nehmen.

 

Sibylle fürchtet schon, sie ist zu spät und der Fisch bereits weg, als sie sich endlich dem Expander zuwendet und schnell anfängt, die dicke Nylonschnur auf die große Spule zu wickeln. Es zieht mächtig, das heißt, der Fisch hängt noch dran. Gut, dass wir den Anfang der Leine tags zuvor ins Cockpit verlegt haben, so kann man bei dem Sauwetter zumindest die Leine fast komplett vom Cockpit aus aufrollen. Burkhard bringt Rettungsweste und Gaff und Sibylle geht nach achtern. Der Fisch ist jetzt schon ganz nah, es scheint ein Thun oder so ähnlich und nicht ganz klein. 

Schnell entschlossen holt Sibylle kurzerhand den Fisch mit einem Schwung am Haken an Deck und stürzt sich auf ihn, damit er nicht wieder rausspringt. So ein schönes Tier. Ein echter Bonito wie wir später von Christoph erfahren. Knapp 3 Kilo schwer, das wird ein Festmahl (bzw. mehrere 😊).

Bei Einbruch der Dunkelheit schließlich gerät das Schiff auf einmal in den hohen Wellen mangels Wind vom Kurs ab und ist fast nicht mehr kontrollierbar. Wir sind es leid,  jetzt oder nie, wir werden versuchen, die fertig zusammengebaute Pumpe sofort nochmal einzusetzen und erneut einen Motorstart zu versuchen. Während Sibylle an Deck kämpft, dem Boot noch irgendeine sinnvolle Richtung zu geben, wir jedoch immer weiter nach Westen driften, bemüht sich Burkhard mal wieder im Motorraum. Schließlich ist es so weit. Der Start ….  und wieder kommt Wasser aus der Welle ☹. Sibylle prüft die Menge und stellt fest, es ist gar nicht so viel, das können wir zur Not auffangen. Dazu lässt sich eine Silikonvase hervorragend zweckentfremden. Als wir erneut starten, ist es fast Mitternacht. Sibylle wacht unten im Motorraum über Wassereinbruch und Temperatur, Burkhard kontrolliert oben das Geschehen. Unser Motor läuft wieder – juhu!

Eine enorme Hilfe ist das neu angeschaffte Infrarot-Thermometer, mit dem man jede einzelne Motoreinheit temperaturtechnisch kontrollieren kann. Der Wasserfluß aus dem Pumpenantrieb versiegt rasch, aber schnell ist auch klar, dass durch die zusätzliche Reibung des provisorisch eingesetzten metallenen Abstandsring, das Pumpengehäuse ziemlich heiß wird. Aber was bleibt uns anderes übrig, andernfalls wären wir die ganze Nacht Spielball der Wellen und es zieht auch noch Regen auf. Also fahren wir vorsichtig weiter unter Motor und holen dann erstmal das Abendessen nach. 

26. Oktober: Wir motoren bis kurz vor Mittag und legen schließlich eine Pause ein, nehmen das Großsegel raus, weit ausgebaumt, denn die Brise kommt jetzt von hinten. Zum Segeln ist diese allerdings viel zu schwach, insbesondere in Kombination mit der Welle, die quer zu unserer Fahrtrichtung läuft. Wir nutzen die Stunde zum Duschen und für Mails. Dann geht es weiter. Die Sonne scheint sehr warm, herrlich, man ist hier spürbar südlicher und wieder im Sommer angekommen. Sibylle filetiert den Bonito: wunderbare zarte, sehr große Filets, von denen wir eines zum Nachmittag als Sashimi verspeisen.

27. Oktober: Unglaublich – am frühen Morgen sehen wir vor uns in der Dunkelheit die Lichter von Las Palmas in der Ferne leuchten. Wir kalkulieren unsere Ankunft auf circa 13:00 Uhr Ortszeit, hoffentlich noch rechtzeitig vor Büroschluss des Marina Office am Samstagnachmittag – gern würden wir das Schiff noch gemeinsam an unseren Liegeplatz bringen. Denn morgen um 9:00 Uhr, wenn das Office wieder öffnet, sitzt Burkhard (hoffentlich) bereits in der Maschine nach Deutschland ….

Es dauert fast eine ganze Stunde, bis schließlich alle Formalitäten erledigt sind. Wir fahren noch zur Tankstelle wie empfohlen, beim Ausfahren ist es ungünstig noch zu Tanken. Schließlich machen wir fest in Muelle Deportivo K 26. Wir haben es geschafft!!!

Ein Hoch auf den weltbesten Skipper, der sogar die Wasserpumpe repariert hat!

Nachtrag: beim Auswechseln der Seewasserpumpe hier in Las Palmas sagt man uns, dass man unbedingt auch den Mitnehmer tauschen muss, wenn man die Antriebswelle erneuert. Das hat unser Retter in der Not (Salvatore) im Juni leider versäumt. Der Defekt ist übrigens ein bekanntes Designproblem, was Volvo kurze Zeit nach Produktion unseres Motors erkannt und geändert hat.

Steuerung: wir sind uns sicher, dass unser lieber Frank in Almerimar die Steuerseile nach Ausbau nicht wieder ganz korrekt angeschlossen hatte, was zum Abspringen der Seile geführt hat.

Wie dem auch sei – uns wurde geholfen und nachkarten gilt nicht. Wir haben wie immer viel dazu gelernt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert